Achtung. Achtung. Achtung.
Wir sind umgezogen!

Januar 2021

Das Büro für besondere Maßnahmen ist ab sofort erreichbar auf mojour.de

Nach und nach werden alte Beiträge – ggf. aktualisiert und überarbeitet – dorthin umziehen. Bitte folgen ... :-)

Freitag, 25. August 2017

Es war einmal ein Minijob

Prekär wie das Leben heutzutage so ist, freut sich unsereins kreative Hochbegabte über jede Stellenausschreibung, die über die Minimalqualifikation Putzfrau oder Regalauffüllerin hinausgeht.

Auch wenn der Mindestlohn derselbe bleibt – man ist doch dankbar, wenn man auch den gut ausgebildeten Kopf ein bisschen benutzen darf und wenn es bei der Arbeit nicht allzu unangenehm ist. Was mich betrifft, sollte es nicht stinken oder sonstewie eklig sein. Es darf – wegen der Reizfilterstörung – auch nicht zu laut oder zu turbulent sein.

Mit dem Fahrrad zur Arbeit*

Einen solchen Job hatte ich das Glück, kurz nach meinem Neustart in Rostock zu finden. Einen Tag nur, nachdem die Jobcenterbratze mich begrüßt hatte mit den Worten „Wenn Sie nicht stressresistent sind, dann gibt es in dieser Gesellschaft keinen Platz für Sie. Dann müssen Sie in eine Behindertenwerkstatt!“

Montag, 14. August 2017

Ulja Krautwald - Einmal noch mit Hans

- eine Buchempfehlung -

Mein Hans hatte einen anderen Vornamen – aber meine Art der Besessenheit war die gleiche. In allen Zellen meines Körpers schleppte ich einen Mann mit mir herum, und ich schleppte so sehr an ihm und zu ihm hin, dass es nicht nur mir, sondern auch ihm lästig wurde. 



Ulja Krautwald hat mit ihrer erotischen Liebesgeschichte „Einmal noch mit Hans“ das Protokoll einer Obsession abgeliefert, wie es ergreifender nicht sein kann. Jenseits aller Logik. Getragen von Sehnsucht und sinnlichen Alpträumen. 

Dienstag, 2. Mai 2017

Lesefreude 2017 - die Gewinnerin ...

Am 23. April 2017, dem "Welttag des Buches und des Urheberrechts" hat das Büro für besondere Maßhmen im Rahmen der Aktion "Blogger schenken Lesefreude 2017" das Buch "Als wir unsterblich waren" von Charlotte Roth zur Verlosung ausgeschrieben.

Lesefreude 2017


Gefragt war nach einer feministischen/politischen Lieblingsautorin und einer gültigen E-Mail-Adresse. Dies wurde in fünf der insgesamt fünfzehn Kommentare (hier im Blog und bei Facebook) beantwortet.

Sonntag, 23. April 2017

Als wir unsterblich waren

Welttag des Buches am 23. April
- Blogger schenken Lesefreude -
Buchverlosung!

"Willkommen in West-Berlin" - als diese Worte damals in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 aus den Lautsprechern an den Grenzübergängen tönten, war ich gar nicht in der Stadt, sondern gerade in Kyoto/Japan und erlebte mein erstes Erdbeben (es war nicht so schlimm, nur wie wenn sehr schwere Panzer über Kopfsteinpflaster rasen; das Geschirr klapperte im Schrank, aber es ging nichts kaputt. Sozusagen ein "Soli-Beben" ...).

Charlotte Roth, Als wir unsterblich waren

Charlotte Roths Frauenroman „Als wir unsterblich waren“* lässt die Szenen der Berliner Maueröffnung in mir lebendig werden, obwohl ich gar nicht dabei war. Ebenso mitreißend schildert sie das Leben der Frauen- und Arbeiterrechts-Aktivistin Paula, die zwei Weltkriege er- und überlebt hat – und das der Ostberliner Studentin Alexandra, die sich in eben jener Nacht in einen Westberliner verliebt.

Montag, 13. Februar 2017

Bewerbung mit Online Assessment

Neuerdings bin ich ja mal wieder mit Stellensuche beschäftigt.

Die gestaltet sich bei mir – trotz bester Qualifikation mit Studium, abgeschlossener Ausbildung, vielseitigen Kompetenzen und jahrzehntelanger Berufserfahrung im In- und Ausland – nicht ganz einfach. Es scheint nichts so recht zu passen. Oder: Ich scheine nirgends hinzupassen mit meinen diffusen Über-, Unter- und Querqualifikationen. Dass ich auch noch hochbegabt bin, erwähne ich schon gleich gar nicht mehr.

Porzellanrosa Hoffnungsschimmer: Eistulpen

Es gibt wenig Stellen für eine wie mich. Noch weniger Stellen gibt es, wenn eine wie ich (aus gesundheitlichen Gründen) nur Teilzeit arbeiten kann.

Qualifizierte Stellen für kreative Köpfe mit empfindsamen Seelen sind dünn gesät, nicht nur hier oben im Nordosten der Republik. Aber hier noch seltener.

Der medial herbei beschworene ‚Fachkräftemangel‘ beschränkt sich auf schlecht bezahlte Positionen in Callcentern, Reinigungsfirmen, Gastronomie, Hotellerie, Pflegekräfte. Entsetzlich viele Zeitarbeitsangebote.

Das Prädikat „angemessene Vergütung“ ist meist gleichbedeutend mit „Mindestlohn“. Also 8,84 Euro die Stunde seit dem 01.01.2017; der Mindestlohn – ursprünglich gedacht für unqualifizierte Aushilfen, Praktikanten etc. – ist zum Einheitslohn geworden. Zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Der holt dich nicht mal aus Hartz IV, verdammt dich zum ewigen Aufstocken mit ALG2. Politisch so gewollt. Wer Hunger hat, macht keinen Aufstand.

Teilzeit ist quasi gleichbedeutend mit ‚unqualifizierter Niedriglohnsektor‘. Gerade so, als ob eine auf halber Stelle plötzlich nicht mehr denken und keine Verantwortung übernehmen könnte. Als Frau sowieso nicht. Sobald eine Arbeit von Frauen erledigt werden kann, ist sie in diesem Land offensichtlich nur noch die Hälfte wert. Beim Gender Pay Gap liegt Deutschland ganz weit vorne. Beim Mindestlohn ganz weit hinten. Auch das ist politisch so gewollt.


Bei meiner vorletzten Bewerbung waren immerhin 15 Euro Stundenlohn in Aussicht gestellt. Lächerlich wenig, für die Gegend hier allerdings schon gehoben. "Was mit Touristen" im Seebad Warnemünde, halbe Stelle, flexible Arbeitszeiten. Wobei ‚flexibel‘ natürlich bedeutet, dass ich als Arbeitnehmerin mich flexibel nach den Bedürfnissen des Arbeitgebers zu richten habe. Nicht etwa ungekehrt! Also  in der Sommersaison bei schönstem Badewetter auch mal flexibel 40 Wochenstunden oder mehr; im Winter, wenn draußen sowieso nasskalt-deutschgraues Rheumawetter  ist und man die Freizeit nicht genießen kann, flexibel fast gar nicht.

Klang trotzdem ganz passabel. Man muss ja nehmen, was man kriegen kann. Sagt zumindest das Arbeitsamt.

Mit meiner Online-Bewerbung gelangte ich in die erste Runde: Telefonisches Vorstellungsgespräch mit der Mutterfirma im Rhein-Main-Gebiet. Ich durfte ad hoc Kopfrechnen. Fernmündlich, zack! Alles richtig, bestanden.

Als nächste Runde wurde mir ein persönliches Gespräch in Aussicht gestellt mit den Verantwortlichen vor Ort. Statt dessen erhielt ich aber zunächst per E-Mail die Einladung zu einem Online-Assessment, also einem Persönlichkeitstest. Quasi wie der Brigitte-Psychotest – aber nicht gemütlich privat und geheim auf meinem Sofa, sondern auf einem Industrie-Server für immer gespeichert und via Datenautobahn für viele erreichbar.

Erst auf Nachfrage erfuhr ich: Man wolle meine Zuverlässigkeit, Stressresistenz und Kundenorientierung testen. Zugriff auf die Ergebnisse sollten "nur" die HR-Abteilung erhalten, meine persönlichen Vorgesetzten und der Betriebsrat. Aha. Ich nicht. Oha.

„Antworten Sie einfach mit Ja oder Nein, es gibt keine falschen Antworten, das Ganze dauert nur fünf Minuten.“

Wenn es denn sein muss, dachte ich, und klickte mich in das Procedere. Erst einmal wurde von mir verlangt, ein komplettes, ausführliches Profil anzulegen. Mit durchaus sehr persönlichen Angaben. Ich wollte nicht, dass meine potentiellen zukünftigen Arbeitgeber so viele Daten über mich sammeln. Auch die Testfirma ging das alles nichts an. Wieso konnte ich den Test nicht anonymisiert durchlaufen mit persönlicher Teilnehmernummer? Was wollten die mit Alter, Geburtsort und Schuhgröße?

Ohne diese Angaben ging der Test aber gar nicht erst los. Also zähneknirschend klein beigegeben. Schließlich hatte ich doch irgendwie zu diesem Zeitpunkt ein noch zumindest vages Interesse an der Stelle. Es waren bereits gute zehn Minuten vergangen.

Dann sah ich mich mit mehr als 70 (in Worten: Siebenzig!) Aussagen konfrontiert, und bei jeder sollte ich – natürlich ohne langes Nachdenken – angeben, ob der jeweilige Satz für mich zutrifft oder nicht. Gleich die erste Frage ließ mich stutzen:

„Manchmal wäre ich gerne jemand anderes.“ Trifft zu oder trifft nicht zu? Ahoi! Die Antwort würde ich eventuell mit meiner Therapeutin besprechen, aber doch nicht mit einem Arbeitgeber!

Es ging weiter mit ähnlich kompromittierenden Sätzen über meine mentale Verfassung:

No. 7 „Ich vertraue Menschen nur, wenn ich sie gut kenne.“ Wie durchschaubar ...

No. 12 „Ich rege mich über Probleme mehr auf als meine Freunde.“ … und manipulierbar!

Bei No. 20 „Ich achte selten auf mein Äusseres.“ fühlte mich in meiner Intelligenz beleidigt, kämpfte mich aber noch ein Stückchen weiter bis zur

No. 26 „Viele der Dinge, die ich mache, sollte ich eigentlich nicht tun.“

Da wollte ich natürlich „Trifft nicht zu.“ ankreuzen. Um das reinen Herzens tun zu können, brach ich den Test an dieser Stelle ab - er gehörte eindeutig zu den "Dingen, die ich eigentlich nicht tun" sollte. Nicht nur, weil schon mehr als eine halbe Stunde vergangen war und ich es für ein absolutes K.-o.-Kriterium halte, wenn andere mit meiner Zeit verschwenderisch umgehen.

Vor allem aber beendete ich den Test an dieser Stelle, weil niemand zur Antwort auf solche höchst persönlichen Fragen gezwungen werden sollte. Nicht von einer nahestehenden Person und erst recht nicht von einem potentiellen Arbeitgeber. Was geht die Bank das an, was ich in meinem Innersten denke, ob ich mich mal mit einem Lehrer gezofft habe oder ob mich manchmal Selbstzweifel plagen?

Nichts. Rein gar nichts. Ich klickte „Alles auf Anfang“ und beendete das hochnotpeinliche Internetverhör ohne weitere Erklärungen. Ein paar Wochen später erhielt ich auf meine Bewerbung die übliche Absage „bla³ … trotz vielseitiger Qualifikationen … bla³“. Ich war sehr erleichtert. Für einen Arbeitgeber, der mich durch solch einen geradezu faschistoiden Optimierungstest schickt, kann und will ich nicht arbeiten.

Ein Freund von mir sah das lockerer: „Da darfst du lügen. Das ist wie wenn du im Bewerbungsgespräch gefragt wirst, ob du schwanger bist.“ Ich wollte aber nicht lügen müssen. Das sehe ich nicht als eine Grundlage für eine gute Zusammenarbeit in einer Vertrauensposition, in der täglich sehr viel Geld durch meine Hände geflossen (aber nicht daran hängen geblieben) wäre.

In dem Kassenhäuschen direkt neben der stinkigen Fischräucherpommesbude hätte ich mich ohnehin zu Tode gelangweilt. Inhaltlich. Energetisch wäre ich vermutlich total überfordert gewesen, mit unzähligen Kreuzfahrt- und anderen TouristInnen täglich.


Wer sich für den kompletten Einstellungstest interessiert, hier habe ich alle Fragen zum Download bereitgestellt. Die Auswertung überlasse ich eurer einfühlsamen Phantasie. Der Test ist gedacht „für die Optimierung der Auswahl folgender MitarbeiterInnen: Aushilfen, MitarbeiterInnen für Nebenjobs, Zeitarbeit, Personal für Gewerbe, Handwerk und Gastronomie, Auszubildende“ und kostet im Internet inklusive Auswertung pro BewerberIn rund 30 Euro.

Samstag, 28. Januar 2017

Auch Akoholiker waren Opfer des Nationalsozialismus

Gestern während der Tagesschau ging es mir so durch den Kopf, als ich die Bilder der Gedenkfeier in Berlin sah – zum 72. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz – bei der in diesem Jahr das 'unlebenswerte Leben' Thema war.

Blick vom Frauen-KZ Ravensbrück auf den Schwedtsee / Fürstenberg

'Unlebenswertes Leben' waren im Nazi-Jargon "sogenannte Erb- und Geisteskranke, Behinderte und sozial oder rassisch Unerwünschte". 

Also nicht 'nur Juden und Zigeuner', auch sozial schwache, kinderreiche Familien, uneheliche Mütter, chronisch Kranke, psychisch als ‚labil‘ geltende Menschen, Alkoholiker und viele andere galten als asozial, waren damit unerwünscht und wurden der "Vernichtung durch Arbeit" zugeführt. (Hier mal die Wikipedia dazu Asoziale im Nationalsozialismus)

Die Konzentrationslager waren nur die letzte Station, sogenannte "Asoziale" waren auch gesellschaftlich geächtet, wurden für medizinische Experimente missbraucht und kamen nach Meinung der 'stramm-deutschen' Bevölkerung völlig ‚zu Recht‘ ins Lager. *


Warum schreibe ich das jetzt?

- Zum einen, weil ich familiär betroffen bin:
Der Vater meiner Mutter hatte Diabetes, also eine unheilbare Erbkrankeit (damit galt in der Nazi-Zeit die komplette Familie als asozial), er wurde während einer Behandlung im Krankenhaus von den Nazis gestorben.

- Zum anderen, weil auch ich selbst in der Nazi-Zeit als Asoziale eingestuft worden wäre:
Als Alkoholikerin sowieso, egal ob trocken oder nicht - und vermutlich auch aus anderen Gründen. Ich habe dem Staat weder Kanonenfutter noch Rüstungsfabrikarbeiterin geboren, und obendrein bin ich schrecklich eigensinnig und vermutlich noch 'Schlimmeres'.

Das alte, faschistoide Denken sitzt bis heute fest in den Köpfen vieler Menschen. Zum Glück nicht in allen. Trotzdem: Vielen ist es gar nicht bewusst, die Verachtung giftet unterschwellig.

Alkoholismus ist in Deutschland seit 1968 eine anerkannte Krankheit. Die WHO war früher schon so weit (1952) aber in Deutschland können wir das 50-jährige „Jubiläum“ der Alkoholkrankheit erst nächstes Jahr feiern.

Diese 'nüchternen' Zahlen haben auch mit mir zu tun. Als ich als kleines Mädchen anfing, Alkohol zu trinken, war ich (nach alter Nazi-Definition) noch 'asozial'. Das hat bloß keiner gemerkt. Als 6-jährige galt ich - von den Erwachsenen liebevoll "kleine Schnapsdrossel" genannt - dann als 'krank'. Das hat bloß auch keiner gemerkt.

Ich trank weiter bis 1999, und irgendwie wollte es immer noch keiner so recht merken. Wer hat schon gerne eine ‚asoziale‘ in der Familie? Oder gar im Freundes- oder KollegInnen-Kreis?
Auch ich selbst wollte es lange Jahre nicht so recht wahr haben, obwohl ich schon ziemlich genau wusste … aber ‚asozial‘ war ich doch nicht. Ach nein. Ich habe es versteckt und weiter getrunken. Lange Jahre erfolglos versucht, mir den SektWeinGrappaMetaxa alleine abzugewöhnen.

Das finde ich schlimm: Dieses alte Denken trug schon damals und trägt noch heute dazu bei, die Krankheit zu vertuschen, sich nicht rechtzeitig Hilfe zu holen, sich mehr zu schämen und mehr Angst vor einer Behandlung zu haben als notwendig ist.

Als ich endlich aufhörte, habe ich mich in Grund und Boden geschämt. Nur ganz wenigen Eingeweihten habe ich anfangs davon erzählt. Als Noch-Trinkende hatte ich mich nicht so sehr geschämt. Trinken war (ist?) anerkannter als Nichttrinken. Auch wenn viele eine gegenteilige Meinung beteuern.

Trinkend habe ich 'bestens' funktioniert. Der Alkohol hat mir geholfen, die Welt auszuhalten. Heute 'funktioniere' ich nicht mehr so reibungslos: Nüchtern kenne ich mich und meine Grenzen besser und achte auf deren Einhaltung.
Das ist für andere bisweilen unbequem.

Nach rund zwei Jahren stabiler Abstinenz ging ich mit meiner - stillgelegten - Alkoholsucht sehr offen um. Beruflich habe ich mir damit keinen Gefallen getan. Mit der Härte der Reaktionen hatte ich nicht gerechnet.

Selbst heute, nach 17 Jahren ohne Alkohol erlebe ich immer wieder angewiderte Blicke, mir wird nicht mehr getraut und nichts mehr zugetraut.

Es ist längst nicht alles gut in meinem Leben, bloß weil ich keinen Alkohol mehr trinke. Ich stehe zu meiner Entscheidung von damals. Sie bleibt die Grundlage dafür, dass mein Leben besser werden kann.


+++ cut +++


Das waren so meine Gedankengänge, zum Gedenktag.

Mit Entsetzen stelle ich fest, dass ich diese alte Meinung, als Alkoholikerin eine unlebenswerte Asoziale zu sein, tief in mir drin auch über mich selbst habe. Immer noch. Sie wurde mir früh in der Kindheit eingepflanzt.

Wie unendlich schwer es doch ist, sich von den alten internalisierten Botschaften zu lösen. Seit so vielen Jahren beschäftige ich mich schon damit.

Gleichzeitig trauere ich um die von den Nazis ermordeten Mitglieder meiner Familie. Und ich trauere auch um mich, die in diesen Augenblicken wieder zum kleinen Mädchen wird, zum Kriegsenkelkind, das die Nazi-Traumata der Eltern ungefiltert und unverarbeitet erzählt bekam, sich nicht dagegen wehren konnte:

Bis heute habe ich nicht nur vor ÄrztInnen und in Krankenhäusern, sondern auch in allen deutschen Amtsstuben eine riesige Angst, dass die mir nicht Gutes, sondern Böses wollen.



* Exkurs

im vergangenen Jahr habe ich das Frauen-KZ Ravensbrück besucht, auf der anderen Seite des idyllischen Sees beim Luftkurort Fürstenberg an der Havel gelegen – knappe 100 km nördlich von Berlin. Es war mein ‚erstes‘ Konzentrationslager, ich war unendlich erschüttert danach. Die Ausstellung ist mit großem Wissen und akribischer, lebendiger und doch dem Sterben so erschreckend naher Detailtreue aufgebaut und angelegt. Eine persönliche Führung ist unbedingt zu empfehlen, zum Beispiel aus feministischer Sicht mit der wunderbaren Dipl. pol. Angelika Meyer. 

Frau Meyer berichtete uns, dass die Einwohner Fürstenbergs sehr wohl mitbekamen, was für Öfen da rauchten jenseits des malerisch gelegenen Schwedtsees; dass das nicht der Duft frisch gebackener Brote aus der angeblichen Bäckerei war,  der da herüberwehte; und dass Kurgäste aus Berlin sich beschwerten über den Anblick der "asozialen, ausgemergelten Gestalten" auf dem Weg am Seeufer entlang in die Zwangsarbeitsfabrik von Siemens, während sie doch auf der Kurhausterrasse ihre Cocktails lieber ohne solche Hässlichkeiten genießen wollten. Man hat dann einen Zaun aus Schilfrohr vor dem Lager aufgestellt, hinter dem die Zwangsarbeiterinnen sich entlang schleppten. Der Zaun hat der Illusion von Idylle nicht so sehr geschadet.

Einen sehr anschaulichen Augenzeugenbericht über ihre Zeit in Ravensbrück bis zur Befreiung des Lagers am 5. Mai 1945 hat die spanische Widerstandskämpferin Neus Catalá 1995 für die EMMA verfasst. Dazu klick bitte hier entlang.