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Januar 2021

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Freitag, 25. August 2017

Es war einmal ein Minijob

Prekär wie das Leben heutzutage so ist, freut sich unsereins kreative Hochbegabte über jede Stellenausschreibung, die über die Minimalqualifikation Putzfrau oder Regalauffüllerin hinausgeht.

Auch wenn der Mindestlohn derselbe bleibt – man ist doch dankbar, wenn man auch den gut ausgebildeten Kopf ein bisschen benutzen darf und wenn es bei der Arbeit nicht allzu unangenehm ist. Was mich betrifft, sollte es nicht stinken oder sonstewie eklig sein. Es darf – wegen der Reizfilterstörung – auch nicht zu laut oder zu turbulent sein.

Mit dem Fahrrad zur Arbeit*

Einen solchen Job hatte ich das Glück, kurz nach meinem Neustart in Rostock zu finden. Einen Tag nur, nachdem die Jobcenterbratze mich begrüßt hatte mit den Worten „Wenn Sie nicht stressresistent sind, dann gibt es in dieser Gesellschaft keinen Platz für Sie. Dann müssen Sie in eine Behindertenwerkstatt!“


Den Inhaber des Kunst- und Antiquitätengeschäfts schien das nicht zu stören. Wir hatten einen persönlichen Bewerbungstermin vor Ort im Seebad vereinbart. Er sah sich meine Unterlagen an und sagte grinsend: „Sie sind überqualifiziert.“ Ich grinste zurück: „Ich bin alt und brauche das Geld.“ Er stellte mich ein, tageweise, als Verkäuferin, zum MIndestlohn von 8,50 Euro die Stunde. Ich war dankbar, und ich habe diese Arbeit geliebt:

Anderthalb Jahre lang vertrat ich ihn, wenn er auf Geschäftsreisen war: Machte den Laden morgens pünktlich auf, verkaufte Teures & Tinnef, Popanz & Postkarten, bediente auch die „anspruchsvollste“ Kundschaft freundlich und zuvorkommend, recherchierte die Herkunft und den Wert seltener Stücke, überarbeitete seine Internetpräsenz, rückte Raritäten ins rechte Licht, hatte Argusaugen auf potentielle Langfinger, betreute den Onlineshop, schloss den Laden wieder und rechnete die Tageseinnahmen korrekt ab.

Es war wie ‚Kaufladen spielen‘. Höchst nostalgisch und ganz viel altmodisch-analoge Arbeit. Das kleine Geschäft war angefüllt mit schönen und geheimnisvollen Dingen. Jedes einzelne erzählte eine Geschichte aus vergangenen Zeiten, und über allem schwebte der Duft von armenischem Papier.

Dann hatte der Chef plötzlich eine neue Lebensgefährtin und es hieß, er könne sich mich nicht mehr leisten. Nicht einmal mehr die 137 Euro im Monat für einen halben Tag die Woche. Meine Arbeit würde jetzt von der neuen Freundin übernommen, unentgeltlich. Tja. Pech gehabt. Oder Glück – je nachdem wie man‘s nimmt.

Die Kündigung drückte er mir in die Hand, keine fünfzehn Minuten vor meinem Bewerbungsgespräch im „Kunst-&SchmuckMuseum“. Ich hätte mir etwas Motivierenderes gewünscht – hatte ich doch gehofft, durch die Kombination beider Arbeitsstellen endlich den Abschied vom elendigen HartzIV zu schaffen. Daraus wurde dann nichts.

So ist das: Wer sich schlecht bezahlen lässt, die wird auch schlecht behandelt.

Später erfuhr ich von einer Kundin, dass mein Ex-Chef ihr berichtet habe, ich hätte ja mehr von ihm gewollt als nur eine Teilzeitstelle, sei auf ihn selbst scharf gewesen und er hätte mich erst einmal gehörig in meine Schranken weisen müssen. Ich war entsetzt und hätte gerne gewusst, wie es zu solch einem absurden Missverständnis kommen konnte. „Unerfülltes Wunschdenken männlicher Selbstüberschätzung“, sagte eine Freundin dazu. Ich habe den Chef nie zur Rede gestellt. Dafür war es wohl nicht wichtig genug.

Wenn ich ihn irgendwo sehe, grüße ich freundlich. Als ich neulich wieder einmal im Laden ‚schnuppern‘ ging, begrüßte die seitherige Lebensgefährtin mich überfreundlich. Ich sah ihr an, dass sie ein schlechtes Gewissen hat. Meine Kündigung war ihre Idee gewesen. Obendrein fragte sie mich süßlich säuselnd, ob ich nicht – falls es mal notwendig sei – auch wieder einmal aushelfen wollte. Sie hätten beide seit einem Jahr keinen freien Tag gehabt. Ich war völlig perplex. Mein Blick wanderte zum Chef, der ebenfalls völlig perplex war.

Als sagte ich nur „Klar, das war ja immer alles ganz korrekt hier, da können wir dann bei Gelegenheit gerne einmal drüber reden.“

Seitdem bin ich nicht mehr hingegangen. 


Das alte Fahrrad ist nicht meines - ich habe es fotografiert im Freilicht-Museum in Klockenhagen.