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Montag, 13. Februar 2017

Bewerbung mit Online Assessment

Neuerdings bin ich ja mal wieder mit Stellensuche beschäftigt.

Die gestaltet sich bei mir – trotz bester Qualifikation mit Studium, abgeschlossener Ausbildung, vielseitigen Kompetenzen und jahrzehntelanger Berufserfahrung im In- und Ausland – nicht ganz einfach. Es scheint nichts so recht zu passen. Oder: Ich scheine nirgends hinzupassen mit meinen diffusen Über-, Unter- und Querqualifikationen. Dass ich auch noch hochbegabt bin, erwähne ich schon gleich gar nicht mehr.

Porzellanrosa Hoffnungsschimmer: Eistulpen

Es gibt wenig Stellen für eine wie mich. Noch weniger Stellen gibt es, wenn eine wie ich (aus gesundheitlichen Gründen) nur Teilzeit arbeiten kann.

Qualifizierte Stellen für kreative Köpfe mit empfindsamen Seelen sind dünn gesät, nicht nur hier oben im Nordosten der Republik. Aber hier noch seltener.

Der medial herbei beschworene ‚Fachkräftemangel‘ beschränkt sich auf schlecht bezahlte Positionen in Callcentern, Reinigungsfirmen, Gastronomie, Hotellerie, Pflegekräfte. Entsetzlich viele Zeitarbeitsangebote.

Das Prädikat „angemessene Vergütung“ ist meist gleichbedeutend mit „Mindestlohn“. Also 8,84 Euro die Stunde seit dem 01.01.2017; der Mindestlohn – ursprünglich gedacht für unqualifizierte Aushilfen, Praktikanten etc. – ist zum Einheitslohn geworden. Zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Der holt dich nicht mal aus Hartz IV, verdammt dich zum ewigen Aufstocken mit ALG2. Politisch so gewollt. Wer Hunger hat, macht keinen Aufstand.

Teilzeit ist quasi gleichbedeutend mit ‚unqualifizierter Niedriglohnsektor‘. Gerade so, als ob eine auf halber Stelle plötzlich nicht mehr denken und keine Verantwortung übernehmen könnte. Als Frau sowieso nicht. Sobald eine Arbeit von Frauen erledigt werden kann, ist sie in diesem Land offensichtlich nur noch die Hälfte wert. Beim Gender Pay Gap liegt Deutschland ganz weit vorne. Beim Mindestlohn ganz weit hinten. Auch das ist politisch so gewollt.


Bei meiner vorletzten Bewerbung waren immerhin 15 Euro Stundenlohn in Aussicht gestellt. Lächerlich wenig, für die Gegend hier allerdings schon gehoben. "Was mit Touristen" im Seebad Warnemünde, halbe Stelle, flexible Arbeitszeiten. Wobei ‚flexibel‘ natürlich bedeutet, dass ich als Arbeitnehmerin mich flexibel nach den Bedürfnissen des Arbeitgebers zu richten habe. Nicht etwa ungekehrt! Also  in der Sommersaison bei schönstem Badewetter auch mal flexibel 40 Wochenstunden oder mehr; im Winter, wenn draußen sowieso nasskalt-deutschgraues Rheumawetter  ist und man die Freizeit nicht genießen kann, flexibel fast gar nicht.

Klang trotzdem ganz passabel. Man muss ja nehmen, was man kriegen kann. Sagt zumindest das Arbeitsamt.

Mit meiner Online-Bewerbung gelangte ich in die erste Runde: Telefonisches Vorstellungsgespräch mit der Mutterfirma im Rhein-Main-Gebiet. Ich durfte ad hoc Kopfrechnen. Fernmündlich, zack! Alles richtig, bestanden.

Als nächste Runde wurde mir ein persönliches Gespräch in Aussicht gestellt mit den Verantwortlichen vor Ort. Statt dessen erhielt ich aber zunächst per E-Mail die Einladung zu einem Online-Assessment, also einem Persönlichkeitstest. Quasi wie der Brigitte-Psychotest – aber nicht gemütlich privat und geheim auf meinem Sofa, sondern auf einem Industrie-Server für immer gespeichert und via Datenautobahn für viele erreichbar.

Erst auf Nachfrage erfuhr ich: Man wolle meine Zuverlässigkeit, Stressresistenz und Kundenorientierung testen. Zugriff auf die Ergebnisse sollten "nur" die HR-Abteilung erhalten, meine persönlichen Vorgesetzten und der Betriebsrat. Aha. Ich nicht. Oha.

„Antworten Sie einfach mit Ja oder Nein, es gibt keine falschen Antworten, das Ganze dauert nur fünf Minuten.“

Wenn es denn sein muss, dachte ich, und klickte mich in das Procedere. Erst einmal wurde von mir verlangt, ein komplettes, ausführliches Profil anzulegen. Mit durchaus sehr persönlichen Angaben. Ich wollte nicht, dass meine potentiellen zukünftigen Arbeitgeber so viele Daten über mich sammeln. Auch die Testfirma ging das alles nichts an. Wieso konnte ich den Test nicht anonymisiert durchlaufen mit persönlicher Teilnehmernummer? Was wollten die mit Alter, Geburtsort und Schuhgröße?

Ohne diese Angaben ging der Test aber gar nicht erst los. Also zähneknirschend klein beigegeben. Schließlich hatte ich doch irgendwie zu diesem Zeitpunkt ein noch zumindest vages Interesse an der Stelle. Es waren bereits gute zehn Minuten vergangen.

Dann sah ich mich mit mehr als 70 (in Worten: Siebenzig!) Aussagen konfrontiert, und bei jeder sollte ich – natürlich ohne langes Nachdenken – angeben, ob der jeweilige Satz für mich zutrifft oder nicht. Gleich die erste Frage ließ mich stutzen:

„Manchmal wäre ich gerne jemand anderes.“ Trifft zu oder trifft nicht zu? Ahoi! Die Antwort würde ich eventuell mit meiner Therapeutin besprechen, aber doch nicht mit einem Arbeitgeber!

Es ging weiter mit ähnlich kompromittierenden Sätzen über meine mentale Verfassung:

No. 7 „Ich vertraue Menschen nur, wenn ich sie gut kenne.“ Wie durchschaubar ...

No. 12 „Ich rege mich über Probleme mehr auf als meine Freunde.“ … und manipulierbar!

Bei No. 20 „Ich achte selten auf mein Äusseres.“ fühlte mich in meiner Intelligenz beleidigt, kämpfte mich aber noch ein Stückchen weiter bis zur

No. 26 „Viele der Dinge, die ich mache, sollte ich eigentlich nicht tun.“

Da wollte ich natürlich „Trifft nicht zu.“ ankreuzen. Um das reinen Herzens tun zu können, brach ich den Test an dieser Stelle ab - er gehörte eindeutig zu den "Dingen, die ich eigentlich nicht tun" sollte. Nicht nur, weil schon mehr als eine halbe Stunde vergangen war und ich es für ein absolutes K.-o.-Kriterium halte, wenn andere mit meiner Zeit verschwenderisch umgehen.

Vor allem aber beendete ich den Test an dieser Stelle, weil niemand zur Antwort auf solche höchst persönlichen Fragen gezwungen werden sollte. Nicht von einer nahestehenden Person und erst recht nicht von einem potentiellen Arbeitgeber. Was geht die Bank das an, was ich in meinem Innersten denke, ob ich mich mal mit einem Lehrer gezofft habe oder ob mich manchmal Selbstzweifel plagen?

Nichts. Rein gar nichts. Ich klickte „Alles auf Anfang“ und beendete das hochnotpeinliche Internetverhör ohne weitere Erklärungen. Ein paar Wochen später erhielt ich auf meine Bewerbung die übliche Absage „bla³ … trotz vielseitiger Qualifikationen … bla³“. Ich war sehr erleichtert. Für einen Arbeitgeber, der mich durch solch einen geradezu faschistoiden Optimierungstest schickt, kann und will ich nicht arbeiten.

Ein Freund von mir sah das lockerer: „Da darfst du lügen. Das ist wie wenn du im Bewerbungsgespräch gefragt wirst, ob du schwanger bist.“ Ich wollte aber nicht lügen müssen. Das sehe ich nicht als eine Grundlage für eine gute Zusammenarbeit in einer Vertrauensposition, in der täglich sehr viel Geld durch meine Hände geflossen (aber nicht daran hängen geblieben) wäre.

In dem Kassenhäuschen direkt neben der stinkigen Fischräucherpommesbude hätte ich mich ohnehin zu Tode gelangweilt. Inhaltlich. Energetisch wäre ich vermutlich total überfordert gewesen, mit unzähligen Kreuzfahrt- und anderen TouristInnen täglich.


Wer sich für den kompletten Einstellungstest interessiert, hier habe ich alle Fragen zum Download bereitgestellt. Die Auswertung überlasse ich eurer einfühlsamen Phantasie. Der Test ist gedacht „für die Optimierung der Auswahl folgender MitarbeiterInnen: Aushilfen, MitarbeiterInnen für Nebenjobs, Zeitarbeit, Personal für Gewerbe, Handwerk und Gastronomie, Auszubildende“ und kostet im Internet inklusive Auswertung pro BewerberIn rund 30 Euro.